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11. Nussknacker

  • tanja0563
  • vor 3 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit

(Jens)

 

Gerd und Hans leben schon seit 50 Jahren als Paar zusammen und sie haben ganz präzise Vorstellungen, wie die Adventszeit, die ja eigentlich eine Fastenzeit ist, und dann die festliche Weihnachtszeit zu gestalten ist.

 

Wenn schon ab September die Spekulatius und Lebkuchen in den Supermarkt-Regalen auftauchen, machen beide demonstrativ die Augen zu oder schauen in die andere Richtung: sowas darf doch einfach nicht wahr sein. Erst wenn der Totensonntag oder Christkönigtag, also der Sonntag vor dem ersten Advent, vorbei ist, fangen sie zumindest mit der Vorbereitung des Adventskranzes mit den vier Kerzen an.

 

Bei dessen Gestaltung wechseln sie sich jedes Jahr ab und es ist gute Gewohnheit geworden, dass Gerd weder meckert, wenn Hans sich für lila Kerzen entscheidet, noch Hans Kommentare abgibt, wenn ihm der Hirsch auf Gerd‘s Gesteck nicht gefällt. Weil beide insgeheim aber doch am liebsten haben, wenn sie sich einig sind, wird es oft ein ganz klassischer Kranz mit dicken, roten Kerzen. Die werden dann ganz zeremonienhaft an den Adventssonntagen zum Frühstück entzündet. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier- you name it.

 

Pünktlich zum 1. Dezember gibt es den gemeinsamen Adventskalender, der gefüllt ist mit „Gutscheinen“ für gemeinsame Aktivitäten. Abwechselnd ist es mal die Idee von Hans, am nächsten Tag die von Gerd. In der zeitnahen Umsetzung sind Hans und Gerd sehr konsequent, am besten am selben Tag. Mal ist es ein Abendessen beim Italiener, mal eine Fußmassage auf dem Sofa und an einem anderen Tag ein Spaziergang über den Weihnachtsmarkt, inklusive einem heißem Apfel.

 

Ab dem 8. Dezember, Maria‘s Empfängnis, dem Tag, an dem im katholischen Italien der Tannenbaum aufgestellt wird, wird auch bei Hans und Gerd mehr Advents-Deko ausgepackt. Die Solar-Lichterkette für den Vorgarten, auch im Haus Lichterketten mit Zeitschaltuhr, die Balance zwischen zuviel und zuwenig ist da ganz schwierig. Aber sie sind sich stets einig geworden.

 

Dann kommt der Samstag vor dem dritten Advent. Der Tag, an dem bei Hans und Gerd immer der Tannenbaum aufgestellt und geschmückt wird. Bezüglich der Farbgebung ist stets derjenige der beiden zuständig, der nicht den Adventskranz gemacht hat. Wobei beim Tannenbaum keine großen Experimente gemacht werden: entweder rot, weiß, silber oder gold oder die Kombination von maximal zwei dieser beiden Farben. Und selbstverständlich darf sich nicht die Farbwahl des Vorjahres wiederholen.

 

Ab der Woche nach dem dritten Advent ist es dann erlaubt, weihnachtliche Süßigkeiten einzukaufen. Spritzgebäck, Schwarz-weiß-Gebäck, Engelsaugen, Vanillekipferl, Spekulatius, Lebkuchenherzen, -brezeln und -Schneeflocken mit Schokoladenüberzug, Printen, Dominosteine, Nüsse aller Arten, natürlich in Bio-Qualität. Die beiden haben da schon ihre bewährten Quellen und wissen genau, was ihnen beiden, einem von beiden oder Gästen schmeckt. Am vierten Advent wird auch alles was nicht dauerhaft luftdicht verpackt sein muss, nett auf einer großen Etagere drappiert. Zur Verköstigung allerdings, da waren sie die beiden einig, kommt es absolut und ohne Ausnahme erst am Heiligen Abend, wenn die Fastenzeit vorbei und die weihnachtliche Feierzeit anfängt. So ist es schon immer gewesen und es ist gut gewesen und sollte sich auch nicht mehr ändern. Da sind sie sich auch ohne Worte einig.

 

Umso überraschter ist Gerd, als er am frühen Montagmorgen nach dem vierten Advent einige leere Erdnussschalen unter dem Tisch mit der Etagere bemerkt. „Hm,“ denkt er leicht verärgert „da hat doch der Hans auf seine alten Tage tatsächlich nicht abwarten können! Und er hätte doch die Schalen zumindest in den Kompost ….. Tststs….Naja, er ist eben aus einem weichen Holz geschnitzt, der liebe Hans…ich will’s ihm mal nicht verübeln.“ Er holt Kehrblech und Handfeger und schwupps ist die kleine Sauerei unter dem Tischchen auch schon beseitigt. Und er macht den Kaffee für Hans, genauso wie der ihn liebt.

 

Am nächsten Morgen ist Hans der Frühaufsteher. Er staunt nicht schlecht, als sein Ordnungssinn durch Haselnuss-Schalen und ein paar Kekskrümel unter dem Tischchen gestört wird. „Eiderdautz, wird der gute Gerd auf seine alten Tage etwa zum Schleckermäulchen und heimlichen Fastenzeit-Brecher? Tssstsss….da hat er wohl ein Glas Likör zuviel gehabt gestern Abend…..naja- machen wir mal kein Drama daraus und Schwamm drüber“ murmelt er, während er die Ordnung wiederherstellt.

 

„Hast Du was?“ fragt Gerd beim Mittagessen im Wald-Restaurant, weil er das Gefühl hat, dass Hans ihn übermäßig lange anschaut, als er sein Weinglas absetzt. „Nein, nein, was soll schon sein“ wehrt Hans ab. „Und, Du, bei Dir alles in Ordnung?“ will Hans im Gegenzug wissen. „Ja, klar!? Wieso fragst Du?“ Auch Gerd lässt sich nicht in die Karten schauen.

 

Sie machen einen romantischen Spaziergang um den kleinen See und setzen sich auf eine Bank. Da nehmen sie ein Rascheln wahr. Direkt vor ihnen huschen zwei kleine Mäuschen durch das Laub. Die kleinen Nager bleiben bei einigen Bucheckern sitzen und fangen an zu knabbern und zu krümeln. Gerd runzelt die Stirn. Und Hans auch. Beide denken an die morgendlichen Krümel und beide fangen an zu grinsen.


„Du hast gar nicht genascht, oder?“ „Ich??? Ich dachte, Du?“ stammeln sie im Grunde gleichzeitig und dann kommen sie aus dem Lachen nicht mehr heraus.


Seit dem Tag werden bei Hans und Gerd alle Süßigkeiten erst am Heiligen Abend aufgetischt. Damit weder Mäuschen noch Schleckermäulchen in Versuchung geführt werden.


ree

 
 
 

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