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Hermann

  • tanja0563
  • 20. Juli 2023
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 21. Juli 2023

Ich bin gut wieder in Bonn angekommen, morgen geht es nach Nordhorn zur Beerdigung meines Onkels. Über ihn habe ich mir heute Gedanken gemacht.

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(Foto von Silke)


Seit ich klein war und eigentlich bis jetzt noch, muss ich überlegen, ob man Herman mit einem oder zwei „r“ schreibt. Denn Hermann war für mich immer ein Herr. Ein Mann, der eine natürliche Autorität ausstrahlte. Seine unvergleichliche, sonore Stimme, seine Art, wenig und eher leise zu sprechen und sich häufig zu räuspern. Umso dröhnender dann manchmal sein herzliches Lachen.


Onkel Hermann war für mich von klein auf ein Fels in der Brandung und auch ein Tor von der Grafschafter Provinz in die weite Welt. In der Bodelschwinghstraße, wo für mich die meisten Erinnerungen an Hermann verortet sind, gab es helle Veloursteppiche und schwere Eßzimmerstühle, die -zumindest in meiner Erinnerung- mit grünem Breitcordstoff bezogen waren. Hier saß man, wie auch später in der Gorch-Forck-Straße, gern lang und gepflegt zusammen am Tisch und unterhielt sich bei einer Tasse Tee und Keksen, leckerem Essen, feinem Wein- alles schien aus einer unerschöpflichen Quelle zu kommen. Und ein „nein danke“ kam einem gegenüber Herman nur schwer über die Lippen. Er meinte es immer gut mit einem und war großzügig und hilfsbereit.


Hermann schien in solchen Runden zeitweise auch oft mit den Gedanken ganz woanders zu sein, was ich an seinem glasigen Blick in die Ferne zu erkennen glaubte. Das betonte nochmal mehr seine natürliche Autorität: er war körperlich präsent, aber geistig auch noch woanders.


Wenn ich mir vorstelle, dass die Kirche morgen gerappelt voll sein wird und ich kaum jemand kennen werde, verstärkt sich mein Gedanke: seit einem Vierteljahrhundert sah ich Hermann nur sporadisch, was ihn bis vor kurzem ausgemacht hat, weiß ich doch gar nicht. Wenn ich darüber nachdenke, dass ich morgen in der Kirche in den reservierten „Familien-Bänken“ sitzen darf, frage ich mich, wie nah ich Hermann war. Aber ist das überhaupt wichtig?


In mir hat Hermann wichtige Spuren hinterlassen. Onkel Hermann war ein Mann von Welt, er strahlte Sicherheit und Optimismus aus. Und er war in meiner Kindheit der Direktor der Commerzbank – das wirkte, als wenn er auch beim alles dominierenden Thema Geld direkt an einer unerschöpflichen Quelle säße! Das war für mich als Kind sehr beeindruckend und ermutigend. Zudem hatte er ebenso scheinbar unbegrenzten Zugang zu wunderschönen Bleistiften, Blöcken und Spardosen.


Im Haus Goedereis war es im heißen Sommer schön kühl und im Winter muckelig warm und es gab klare Regeln. Wenn Agnes ihren Mittagsschlaf machte, mussten wir Kinder draußen spielen. Und abends wurden konzentriert und aufmerksam die Nachrichten inklusive der Aktienkurse an der Börse verfolgt.


Darüber hinaus spielte er Tennis, Golf, verkehrte mit Ärzten, Anwälten, Geschäftsleuten und bewegte sich somit auf einem gesellschaftlichen Parkett, dass mir ansonsten am ehesten aus dem Fernsehen bekannt war und in Kreisen, die mich mit Ehrfurcht und Bewunderung erfüllten. Weil er mein Onkel war, fühlte es sich an, als würde diese Welt ein Stück realer und zugänglicher. Ich finde, dass Herrmann zu meiner Entwicklung vom Arbeiterkind zur promovierten Wissenschaftlerin einen bedeutenden Beitrag geleistet hat und dafür bin ich ihm sehr dankbar.


Und wenn es mir als Nichte so geht, die ihn in den letzten Jahrzehnten wenig erlebte, wieviel mehr Spuren der Freude, des Glücks und des Dankes hat er wohl in den Herzen all der Menschen hinterlassen, die ihm viel näher waren!


In meinen letzten WhatsApp Dialogen mit Hermann ging es um Bilder von Regenpfützen. Ich hatte vor zwei Jahren mal ein Foto einer blanken Pfütze, in der sich der Himmel spiegelte, gemacht und in meinem Status gepostet. Er hatte mir geschrieben, dass ihm das sehr gut gefallen hat.


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Dieses Frühjahr, als es ihm nicht gut ging, musste ich bei jeder schönen Pfütze an ihn denken und habe ihm nochmal Pfützenfotos geschickt. Pfützen, in denen sich der Himmel spiegelt. Danke, Hermann! Du bist ein Mensch gewesen, der ein Stück Himmel auf die Erde geholt hat.


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