Haben wir eine Wahl?
- tanja0563
- 17. Feb. 2023
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Feb. 2023
Manchmal wünsche ich mir durchaus eine Zyankali-Kapsel im Nachtschränkchen. Damit ICH die Wahl habe, ob ich den ganzen Zirkus, der sich Leben nennt, weiter mitmachen möchte. Vermutlich würde ich sie niemals nehmen, so wie es Hans Fallada in "jeder stirbt für sich allein" so schön darstellt.
Jetzt habe ich schon ein schlechtes Gewissen, diesen Gedanken "laut aufgeschrieben" zu haben, denn es geht mir doch-im Vergleich zu soo vielen anderen- soo gut! Meine wirtschaftliche Existenz ist gut abgesichert, ich habe schon 46 Jahre gelebt und viele schöne Erinnerungen sammeln dürfen. Ich kann vielen meiner Interessen nachgehen und ich habe Menschen um mich herum, von denen ich mir wünschen kann, "denkt mal an mich in den nächsten Wochen" und es funktioniert: ich fühle mich so schön geborgen in der Welle von guten Gedanken!
Außerdem habe ich nur wenig Schmerzen (die Schmerzen in der Hüfte, bzw die Teillähmung des rechten Beins haben mich ja zu Orthopäden getrieben), keine Übelkeit, keinen Juckreiz, keinen Schwindel, keine besondere Müdigkeit. Ok, die Schweissausbrüche sind nervig- sie erinnern mich daran, öfter mal eine Pause einzulegen.
Sogesehen- selbst wenn ich die Wahl hätte, ich würde jetzt wählen, weiter zu leben! Es ist wirklich interessant, auf welche Widrigkeiten und Einschränkungen man sich so einlässt....und wenn mir jemand sagt "Wie schaffst Du es bloß, damit weiterzuleben?" dann ist meine Antwort "habe ich denn eine Wahl?"
Aber in Wirklichkeit haben wir immer zumindst die Wahl, WIE wir die Dinge betrachten. Ist das Glas halb voll oder halb leer?
Wenn ich zum Beispiel zur Strahlentherapie gehe, sehe ich als erstes dieses Schild. OMG könnte man da denken, alles was da steht, will doch keiner haben!! Und den Namen (sorry Frau Dr. Irmgard Frickenschmidt) schon mal gar nicht. Oder man dreht den Spieß um und denkt "cool, die haben eine Expertin, die einem am Lebensende vielleicht ganz hilfreich sein kann". Bei früheren Operationen habe ich die Dame übrigens schon kennengelernt, sie ist total nett und hat mich sehr ernst genommen und geholfen, Lösungen zu finden. Und ich freue mich, wenn das Schild mich an sie erinnert.

An dem nächsten Wegweiser etwas positives zu sehen, da arbeite ich noch dran. So finde ich es einfach irgendwie makaber. Alle, die hier links abbiegen, sind irgendwie ein bisschen auf dem Abstellgleis der Gesellschaft, könnte man denken, oder? Der Wirtschaftshof ist außerdem wirklich hässlich...

Aber dann eben "Augen zu und durch". Dafür bieten sich dann an anderer Stelle Augenweiden, bzw Weidenkätzchen, wenn man einen Blick für den einziehenden Frühling hat! Passend dazu ein niedliches Gedicht:
Das Weidenkätzchen von Christian Morgenstern
Kätzchen ihr der Weide, wie aus grüner Seide, wie aus grauem Samt! Oh, ihr Silberkätzchen, sagt mir doch, ihr Schätzchen, sagt, woher ihr stammt!
Wollens gern dir sagen: wir sind ausgeschlagen aus dem Weidenbaum, haben winterüber drin geschlafen, Lieber, in tieftiefem Traum.
In dem dürren Baume, in tieftiefem Traume habt geschlafen ihr? in dem Holz, dem harten, war, ihr Weichen, Zarten, euer Nachtquartier?
Musst dich recht besinnen; was da träumte drinnen, waren wir noch nicht, wie wir jetzt im Kleide blühn von Samt und Seide hell im Sonnenlicht.
Nur als wie Gedanken lagen wir im schlanken grauen Baumgeäst; unsichtbare Geister, die der Weltbaumeister dort verweilen lässt.
Kätzchen ihr der Weide, wie aus grauer Seide, wie aus grauem Samt! Oh, ihr Silberkätzchen, ja, nun weiß, ihr Schätzchen, ich, woher ihr stammt.

Ganz wichtig beim WIE ich mit Dingen umgehe, ist für mich auch Vorfreude. Bis August hätte ich vor lauter Reisen und schönen Sachen eigentlich gar keine Zeit für Krankheit, Therapie und Bestrahlung gehabt. Dafür ganz viel Vorfreude. Nun ja- Pläne muss man manchmal ändern, aber die Wahl, sich auf irgendwas anderes zu freuen, habe ich trotzdem.
Und so freue mich mich jetzt darüber, ganz lieben Besuch aus Berlin zu haben und morgen einen Wellness-Tag im Palmenparadies zu verbringen!



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